Montag, 22. Mai 2017

Totale Religion von Jan Assmann

Meine Lieblingszitate aus dem Buch
"Totale Religion" von Jan ASSMANN:


Die Gefahr einer Sprache der Gewalt liegt darin,
dass Worte oft in Taten umschlagen,
vor allem, wenn diese Worte mit dem Anspruch höchster göttlicher Autorität
und Normativität ausgestattet werden.
Ihre Umsetzung in gewaltsame Aktion
kann sich dann als Erfüllung heiligster Verpflichtung
verstehen und legitimieren.

Ethnische Identität ist eine Frage der Abstammung
(to homaimon „das gleiche Blut“, wie es bei Herodot VIII, 144 heißt).
Politische Identität ist eine Frage von Assoziation und Dissoziation,
des Zusammenschlusses und des Ausschlusses,
der Gruppenbildung und der Abgrenzung nach außen.
Und religiöse Identität ist eine Frage des Kults und der Sitte
(„gleiche Riten und Sitten“ nach Herodot).

Je stärker der Glaube bindet, solidarisiert, zusammenschließt, desto schärfer unterscheidet er und grenzt aus.
Erst im Zusammenhang dieser Religionsform kann man von Heiden, Ketzern und Apostaten sprechen. Von den traditionellen Religionen konnte man nicht abfallen, ebenso wenig wie man zu ihnen konvertieren konnte.

Da es Religion nun einmal nur im Plural gibt und geben wird, ist „Sowohl / als auch“ – sowohl Treue zum Eigenen als auch Respekt vor dem Anderen im Bewusstsein gemeinsamer Zugehörigkeit zum genus humanum – das Gebot der Stunde. Diese Form schafft die Differenz nicht ab, sondern respektiert sie im Hinblick auf etwas Übergreifendes, das man im 18. Jahrhundert „natürliche Religion“ nannte und das sich heute in erster Linie mit dem Begriff der Menschenrechte verbindet.
Warum Treue oder Wahrheit in Gewalt umschlagen und was Religion überhaupt mit Gewalt zu tun haben sollte, ist nicht einzusehen.

Die eine, „echte“ oder „wahre“ Religion gibt es nicht, es gibt nur Religionsformen (im Rahmen welcher Religion auch immer), die es darin am weitesten bringen. In diesem Sinne gibt es bessere und weniger gute Formen der Religionsausübung, aber keine wahren und falschen Religionen. Jede Religion hat die Kraft, „vor Gott und Menschen angenehm zu machen“; darin liegt nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihr allgemeinster und fundamentalster Sinn. ... Die Religion ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um der Religion willen.
Was vor Gott angenehm ist, können wir nicht wissen, aber was vor Menschen angenehm ist, das heißt, dazu beiträgt, das Zusammenleben auf diesem Planeten zu verbessern, zu erleichtern und zu verschönern, lässt sich doch ziemlich eindeutig bestimmen. Gewalt, Verfolgung, Unterdrückung gehören jedenfalls nicht dazu.
...
Die ... heilende, Frieden, Gerechtigkeit und Schönheit stiftende Kraft der Religion, jeder Religion, ereignet sich, wo immer sich Menschen von ihr in diesem Sinne inspirieren lassen.
steppenhund - 24. Mai, 13:59

Singular oder Plural

"Da es Religion nun einmal nur im Plural gibt und geben wird, ist „Sowohl / als auch“ – sowohl Treue zum Eigenen als auch Respekt vor dem Anderen im Bewusstsein gemeinsamer Zugehörigkeit zum genus humanum – das Gebot der Stunde."

Dieses Zitat deutet für mich auf ein ganz ungeheuerliches Versäumnis der deutschen Sprache hin. Obwohl sie die Sprache der Wissenschaft ist und nach Latein wohl die besten Definitionen ermöglicht, wird es beim Wort Religion bei einer Undeutlichkeit belassen, die schlimmste Folgen hat.

Nach meiner Auffassung sollte es zwei verschiedene Worte geben, um den Gegensatz zwischen Religion im Singular und Religionen im Plural deutlicher hervorzuheben.

Zuerst die Mehrzahl: Religionen sind Glaubensrichtungen, die vom Naturglauben, Vielgötterglauben, Eingottglauben bis zum Atheismus reichen.
In der Einzahl bedeutet es genau den einen Glauben, den ein Mensch für sich gefunden hat, frei nach Schopenhauer (der Mensch hat ein metaphysisches Bedürfnis) Auch hier kann es die unterschiedlichsten Ausrichtungen geben, doch im einzelnen Menschen ist "die Religion" nicht durch das Bedürfnis angetrieben, irgendwo dazu zu gehören, sondern nährt sich aus dem Zweifel über den Tod, das Leben und einem möglicherweise nicht verschütteten Gewissen, welches zu einer Ethik findet.
Diese Ethik kann man sowohl in der Bergpredigt finden oder in den Erkenntnissen eines Nobelpreisträgers 2000 Jahre, der die Kooperation als gewinnendes Merkmal der Spieltheorie identifiziert hat.

Noch deutlicher könnte man mit dem Denkmechanismus differenzieren. Bei der singulären Religion wird das (Nach-)denken gefordert, bei der Pluralform wird das Denken manipuliert und bewusst verhindert.

Die Religion des Einzelnen grenzt nicht aus, ihre heiligste Pflicht besteht in der Treue zur eigenen Überzeugung, die allerdings selbst erarbeitet werden muss und nicht von denen bestimmt wird, die am lautesten schreiben.

Ich kann nur jedem empfehlen, zwei Werke zu lesen: Mircea Eliade, die Geschichte der religiösen Ideen (5 Mände) und Elias Canetti, Masse und Macht.

Mc Claudia - 25. Mai, 16:08

Danke!

Vielen Dank lieber Steppenhund,

kommt nicht oft vor, dass ich Kommentare krieg. *g*

Grundsätzlich gebe ich Dir Recht, und so gesehen bin ich eher der Singular-Typ, nicht der Zwangsgruppenmensch. In der deutschen Sprache könnte man die Singular-Form am ehesten noch Spiritualität nennen, das Gruppenmodell Religion, wobei letzteres nicht Scheiße sein muss, denn man kann auch sehr liberal sein als Gruppe.

Was Jan Assmann in seinem Buch meint, da geht es im Plural darum, dass es eben einen Ganzen Haufen verschiedener Religionen (egal wie, wo und welche) weltweit gibt, und dass dieser Haufen Plural sich gefälligst an die Menschenrechte halten soll, bzw. diese ÜBER dem Plural zu stehen haben, sonst wirds nie rel. Frieden geben. Also - mal frei übersetzt seine Meinung.

Mircea Eliade ist cool. Danke!

Liebe Grüße

Mc Claudia

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