Samstag, 1. Juni 2013

Helmut Schmidt und die Menschenrechte

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Wie oft habe ich das nicht schon gehört: "Die Menschenrechte sind ein Erzeugnis der Ära der Aufklärung im Westen. [...] Warum sollten sie [universell] sein? [...] Dieser Drang nach Belehrung und nach Mission ist eine sehr westliche Art." Untermauert hat er das mit einer ganzen Latte an Aufzählung verschiedener historischer Reiche und Religionen, die ja auch alle die Menschenrechte nicht hatten.

Dass die Menschenrechte sehr wohl universell sind und keinesfalls eine rein westliche Erfindung sind, möchte ich kurz aufzeigen:

Die Abfassung der Erklärung der Menschenrechte von 1948 war vor allem von vier Westler/-innen (Eleanor Roosevelt (USA), John Humphrey (Kanada), René Cassin und Jacques Maritain (Frankreich)) und nur zwei Nichtwestlern (Charles Malik (Libanon), Peng-chun Chang (China)) unternommen worden.

Die Erklärung von 1948 wurde von Vertreter/-innen folgender Staaten unterstützt:

Westliche Staaten (weit gefasst):
Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Rumänien, Griechenland, Island, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Panama, Schweden, Großbritannien, USA

Nichtwestliche Staaten:
Afghanistan, Bolivien, Burma, Chile, China, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Ägypten, Äthiopien, Guatemala, Haiti, Indien, Iran, Irak, Libanon, Liberia, Pakistan, Mexiko, Nicaragua, Paraguay, Peru, Philippinen, Syrien, Thailand, Türkei, Uruguay, Venezuela

Es fehlen zwar vor allem nahöstliche (islamische) Staaten. Aber als westliches Projekt kann man das angesichts der damals anwesenden Befürworter keinesfalls bezeichnen. (Dagegen sprach sich kein Staat aus, Enthaltungen gab es acht – v.a. aus dem Ostblock.)

Auch, dass die Menschenrechte eine rein aufklärerische Erfindung seien, stimmt so nicht. Die säkulare weltweite Universalität mag zwar neu sein, aber menschenrechtliche Ansätze reichen historisch bis in die Antike zurück, und hier keinesfalls (nur) im Westen. Erinnert sei an das Ahimsa-Gebot in Teilen des Hinduismus und im Buddhismus, an die Gleichheit aller Menschen vor Gott im Christentum, an weitgehend egalitäre Strukturen in einigen indigenen (vor allem mutterrechtlichen) Stämmen, an demokratische Ansätze im antiken Griechenland, an Ansätze von gleichen Rechten für alle in der Stoa und Menschlichkeitsgeboten in diversen antiken Philosophien (westliche wie östliche) oder an die altpersischen Grundsätze am Kyros-Zylinder.

Und dass Folter immer weh tut, egal in welcher Kultur zu welcher Zeit man lebt, dürfte wohl auch jedem einleuchten. Ich möchte hier mein Lieblings-Parade-Beispiel der Antike anführen: Spartacus. Sklav/-innen, die wissen, dass sie versklavt sind, die wissen, dass man auch in Freiheit leben kann, sind nicht gerne versklavt. Im alten Rom ebensowenig wie heutzutage.

Anderes Beispiel: Die versklavte Bevölkerung Haitis hatte sich im 19. Jhdt. die Grundsätze der französischen Revolution zum Vorbild genommen, um die Sklaverei abzuschütteln und die Machthaber zu vertreiben. Ein weiterer Beweis dafür, dass eine Idee, bloß weil sie an Ort A erfunden wurde, deshalb noch lange nicht an Ort A verbleiben muss sondern Menschen auf der ganzen Welt inspirieren kann. Warum auch nicht?

Das Vorhandensein von Folter, Unterdrückung oder Sklaverei in einem Staat mag vielleicht als Grund dafür gelten, warum es als normal empfunden wird. Eine ethische Aussage, dass es deswegen in Ordnung sei, lässt sich daraus aber lange nicht ableiten. Es ist aber das gefährlichsten und grauenvollste, das passieren kann: Wenn Sklaverei als normal empfunden wird. Schon Marie von Ebner-Eschenbach sagte: „Die glücklichen Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit.“ Ich will nicht warten, bis wir schleichend versklavt sind und es gar nicht mehr merken …

Wenn also die chinesische Regierung meint, dass die Zustände in China und die Menschen in China so anders sind, dass die Menschenrechte für sie nicht gelten, weil das unchinesisch sei, dann ist das schlicht Bullshit. Zum einen hatte China 1948 selbst dafür gestimmt, zum anderen – wie gesagt – Folter tut immer weh, und chinesische Menschenrechtsaktivist/-innen sind faszinierenderweise ganz anderer Meinung als ihre Machthaber. Die sind nämlich offenbar ganz und gar nicht der Meinung, dass ihre chinesischen Gene keine Menschenrechte bräuchten.

Und nicht nur in China, auf der ganzen Welt gibt es Menschenrechtsaktivist/-innen, die in ihren Ländern, oft unter Lebensgefahr, für ihre Rechte und mehr Demokratisierung kämpfen. Das heißt, wir bösen Westler/-innen brauchen gar nicht zu missionieren. Die unterdrückten Menschen der Welt wissen selbst, woran sie leiden, und dass sie für ihre Grundrechte kämpften müssen. Was sie allerdings sehr wohl brauchen, ist unsere Solidarität. Auf der ganzen Linie. Aber unsere Politiker/-innen pulvern unser Steuergeld lieber in marode Banken als in menschenrechtliche Projekte, die das Leben lebenswerter machen könnten ….

Es ist m.E. daher arrogant und rassistisch, wenn man behauptet, die Menschenrechte gelten nur für den Westen, weil sie im Westen erfunden wurden. Was hier als Respekt vor anderen Kulturen verkauft wird, ist nichts anderes als Ethnopluralismus – die Ansicht der chinesischen Machthaber. Menschen seien überall verschieden, deshalb, bräuchten alle anderen keine Menschenrechte. Faszinierenderweise kommen solche Aussagen nur von regimetreuen Machthabern. Menschen, die Unterdrückung leiden, sagen sowas für gewöhnlich nicht.

Das einzige, das arrogant, oder besser bigott ist, sind die Regierungen der westlichen Welt. Sie predigen Wasser und trinken Wein. Sie faseln von Menschenrechten und brechen sie genauso – wenn auch eher indirekt – wie die Machthaber der von ihnen angegriffenen Staaten. Wer mit Saudi Arabien, Russland und China (als Beispiele) uneingeschrenkt Handel treibt zu deren Bedingungen und dann hin und wieder von Menschenrechtsverletzungen ganz leise spricht, ist ein Heuchler. Wer reichen Firmen staatlicherseits erlaubt, so lange out-zu-sourcen, bis in Europa keine Fabrik mehr steht, dafür aber 100.000e Kinder und Frauen in Bangladesh und sonstwo unter miserabelsten Bedingungen zu Hungerlöhnen schuften müssen, nur damit die Manager noch mehr Kohle machen können und die Politiker sie an ihrer Seite haben, wäre als Machthaber in China besser aufgehoben. Wer in Staaten einmarschiert, nur weil sie nicht in ihren Kram passen oder weil man dort schadlos Ressourcen ausbeuten kann, und das ganze unter dem Label „Wir bringen euch Demokratie und Menschenrechte“ verkauft, ist ein Verbrecher, vor allem dann, wenn die eigenen Streitkräfte moralisch nicht viel besser sind als die, die sie bekämpfen. (Ich frage mich immer wieder, warum man in den Irak einmarschierte aber für Rwanda keinen Finger rührte …)

Das Problem sind nicht die Menschenrechte – diese zu missionieren – natürlich mit Respekt und Feingefühl – ist Menschenpflicht. Das Problem sind westliche Machthaber, die auf die Menschenrechte genauso scheißen wie ihre nichtwestlichen Kollegen. Der einzige Unterschied ist, dass wir hier in der glücklichen Lage sind, dass wir ein paar Jahrzehnte Menschenrechtsverwirklichung hinter uns haben, was uns einen gewissen rechtsstaatlichen Wohlstand beschert. Ein Wohlstand, der gar nicht so auf den Konsum oder ein gutes BIP ankommt sondern auf gerechte Verteilung. Vergleichsweise hat das arme Kuba nämlich ebenfalls einen sehr hohen sozial-gerechten Status geschaffen. Es kommt also nicht drauf an, wieviel Vermögen ein Staat hat sondern wie es verteilt wird. Verteilungsgerechtigkeit ist die Grundlage, um Menschenrechte überhaupt sinnvoll verwirklichen zu können!

Wir brauchen nicht weniger Menschenrechte sondern mehr, viel mehr. Und zwar global. Den Chinesen weiterhin freie Hand im Handel zu lassen, ist daher das absolut falsche Zeichen. Es würde uns allen helfen, wenn man Waren aus Ländern, die massive Menschenrechtsverletzungen betreiben, wo Arbeiter/-innen massivst ausgebeutet werden, wenn für diese Waren hohe Zölle gezahlt werden müssten. Vielleicht kämen dann ein paar Firmen wieder zur Vernunft und würden sich in Europa ansiedeln, und China & Co wären auch gezwungen, ihre Politik zu überdenken.

Mein Fazit zum Sager von Helmut Schmidt: Note fünf, setzen!

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